Würzburg (POW) Edmund Stoiber hatte sich selbst den Weg für einen Besuch als Ministerpräsident in Prag verbaut. Günther Beckstein war nahe dran, in die tschechische Hauptstadt zu fahren. Jetzt ist Horst Seehofer gefordert. „Der Besuch des Bayerischen Ministerpräsidenten in Prag ist längst überfällig. Seehofer hat die Pläne in seinem Schreibtisch liegen. Er muss die Schublade nur öffnen“, betonte der frühere Chef der Staatskanzlei, CSU-Landtagsabgeordneter Eberhard Sinner bei der Diözesantagung der Ackermann-Gemeinde am 21. und 22. März in Würzburg. Das Treffen stand unter dem Motto „Deutsch-tschechische Nachbarschaft in Europa – Gemeinsamkeiten auf dem Weg in die Zukunft“.
Nach einer blutigen Geschichte mit Krieg, Vertreibung und Eisernem Vorhang steht das Verhältnis der beiden Nachbarstaaten im Herzen Europas auf dem höchsten Niveau seit der friedlichen Revolution vor 20 Jahren. Darin waren sich Tschechen und Deutsche bei einer Podiumsdiskussion zum Verhältnis der beiden Staaten einig. „Wir haben in Deutschland einen verlässlichen Verbündeten und Partner“, sagte der stellvertretende Generalkonsul des Tschechischen Konsulats in München, Ivo Losman. Die deutsch-tschechische Erklärung von 1997 sei das wichtigste gemeinsame Dokument und habe einen Grundkonsens in strittigen Fragen geschaffen. Auf den bayerischen Ministerpräsidenten warte man in Prag schon lange. Dem Besuch komme eine große symbolische Bedeutung zu. „Tschechen und Bayern können noch enger in europäischen Fragen zusammenarbeiten“, sagte Losman.
Dem erwarteten Besuch des Ministerpräsidenten hing der CSU-Europaabgeordnete der Region Nürnberg, Martin Kastler, die Forderungen an, gleichzeitig ein bayerisches Kulturzentrum in Prag zu eröffnen und die Sprachförderung an den Schulen der Grenzregion auszubauen. „Die Sprache ist das verbindende Element.“ Sinner regte in diesem Zusammenhang einen Lehreraustausch zwischen Deutschland und Tschechien an, da es in Bayern schwierig sei, Lehrer für den Tschechisch-Unterricht zu bekommen. Für Schulbücher müssten gemeinsame Ansichten der Geschichte entwickelt werden. Wichtig sei auch eine Nachbarschaftskunde in der Grundschule, ergänzte der Würzburger CSU-Landtagsabgeordnete Oliver Jörg. Die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Forschung müsse vertieft werden. Aus tschechischer Sicht stellte Losman ein wachsendes Interesse im Grenzgebiet am Erlernen der Nachbarsprache fest. „Im Schulbereich ist viel los – von Schulpartnerschaften bis hin zu Studentenaustausch.“ Das gilt es nach den Worten Kastlers weiter zu fördern.
Kritik wurde am bestehenden Eisenbahnnetz zwischen den Nachbarstaaten laut. „Im Eisenbahnbau muss massiv nachgeholt werden“, sagte Sinner. Bayern müsse deutliche Forderungen an das Bundesverkehrsministerium richten. Der stellvertretende tschechische Generalkonsul beschrieb die Situation mit den Worten: „Das Eisenbahnnetz zwischen Bayern und Tschechien entspricht noch eher den Verhältnissen vor der Wende.“ Viele positive Beispiele für eine Zusammenarbeit zwischen Bayern und Böhmen gebe es auf regionaler und kommunaler Ebene, unterstrich Losman. Die tschechisch-bayerischen Beziehungen seien in den vergangenen eineinhalb Jahren massiv gewachsen. In dieser Zeit habe es mehr Treffen auf politischer Ebene gegeben als je zuvor. Positiv würdigte Losman auch die hervorragende Zusammenarbeit der Polizei seit Wegfall der Grenzkontrollen. „Die grenzüberschreitende Kriminalität ist seit 2007 nicht gewachsen.“ Der deutsch-tschechische Zukunftsfonds trage zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Dialog bei.
Existentiell wichtig für Europa nannte Sinner einen Durchbruch bei der Ratifizierung des Lissabon-Vertrags während der derzeitigen tschechischen EU-Ratspräsidentschaft. Mit einem Erfolg könne die tschechische Regierung hier ein Signal für eine Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in Europa setzen. Losman bezeichnete die Ratspräsidentschaft als große Belastung für die staatliche Verwaltung in Tschechien. Gleichzeitig bedeute sie eine große Chance für Tschechien, das Land selbst und ein „Europa ohne Barrieren“ präsentieren zu können. Wichtig sei es, die Schranken in den Köpfen der Europäer abzubauen. Als Musterbeispiel für die Nutzung des EU-Fonds nannte Losman die böhmisch-bayerische Grenzregion. Mit einer Präsentation gelungener Projekte von Tschechen und Deutschen unterstrich Dr. Dobroslav Zeman vom Rotary-Club Pilsen die zahlreichen positiven Ergebnisse einer Zusammenarbeit auf unterer Ebene. Zu Beginn der Tagung erinnerte Monsignore Karlheinz Frühmorgen an die Heiligen Paulus, Josef, Wenzel und Agnes von Böhmen sowie an Engelmar Unzeitig. Sie seien Beispiele für grenzüberschreitende Gemeinsamkeiten. Der Diözesanvorsitzende der Ackermann-Gemeinde, Hans-Peter Dörr, ehrte Albert Seidl (Kahl am Main) für 40-jährige Mitgliedschaft.
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