Würzburg (POW) Bischof Dr. Franz Jung hat zum 1. Juli 2025 den Theologen Dr. Jürgen Lohmayer (62), Leiter der Abteilung Glaube und Leben in der Hauptabteilung Seelsorge und Referent für Weltanschauungsfragen, auch zum Beauftragten für Missbrauch geistlicher Autorität für das Bistum Würzburg ernannt. Als Ansprechpersonen für Missbrauch geistlicher Autorität im Bistum Würzburg ernannte er den Diplom-Pädagogen Richard Hübner (65), langjähriger Mitarbeiter der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG), und Katharina Schmelter (68), Diplom-Theologin und -Pädagogin, langjährige Mitarbeiterin der Ehe-, Familien- und Lebensberatung des Bistums. Sie alle sind über die Homepage geistlicher-missbrauch-wuerzburg.de erreichbar. Im folgenden Interview erläutert Lohmayer die Hintergründe und stellt vor, welche Hilfe Betroffene erwarten können.
POW: Was ist unter dem Stichwort „geistlicher Missbrauch“ zu verstehen?
Dr. Jürgen Lohmayer: Um übergriffige Verhaltensweisen und missbräuchliche Strukturen in der Kirche zu beschreiben, werden verschiedene Begriffe verwendet, wie geistlicher Missbrauch, spirituelle Gewalt, Missbrauch des Gewissens, religiöse Manipulation. All diesen Umschreibungen liegt der Versuch zugrunde, ein soziales Miteinander zu beschreiben, durch das spirituelle, psychosoziale und physische Rechte Einzelner oder ganzer Gruppen missachtet, ausdrücklich verletzt, unterdrückt oder ausgeschaltet werden. In Fällen von geistlichem oder spirituellem Machtmissbrauch geht es darum, dass Täterinnen und Täter ihr geistliches Amt und die damit verbundenen institutionellen beziehungsweise strukturellen Machtfunktionen dazu missbrauchen, anderen die eigenen speziell religiösen Auffassungen, die eigenen Werte oder Überzeugungen aufzudrängen und sie zu bestimmten Verhaltensweisen und Handlungen zu nötigen oder gar zu zwingen suchen.
POW: Welche Folgen kann derartiger Missbrauch für die Betroffenen haben?
Lohmayer: Insbesondere psychisch-emotionale Verletzungen sind da zu nennen wie Selbstzweifel, Minderwertigkeitsgefühle, emotionale Leere. Betroffene verlieren oft nicht nur den eigenen Glauben, sondern grundsätzlicher die Fähigkeit, sich und anderen Menschen zu vertrauen. Je länger die spirituelle Autonomie und Würde des Einzelnen ignoriert und missachtet wurde und je intensiver die Abhängigkeit war, desto gravierender können die Folgen sein. Dann können die psychischen Verletzungen auch Auswirkungen auf der körperlichen Ebene und beim Sozialverhalten zeitigen, wie zum Beispiel Schlafstörungen, Bluthochdruck, Depression und Vereinsamung.
POW: Sexualisierte Gewalt ist seit 2010 ein Thema in der katholischen Kirche. Warum hat es beim geistlichen Missbrauch länger gedauert?
Lohmayer: Ich glaube, da kommen letztlich einige Entwicklungen zusammen: Das Thema des sexuellen Missbrauchs hat ja 2010 mit voller Wucht eingeschlagen und erst mal über Jahre die öffentliche Debatte bestimmt. Dann kommt in einem größeren historischen Kontext den Fragen der persönlichen Lebensführung – im Verhältnis zur Gesellschaft innerkirchlich vielleicht etwas verspätet – generell heute ein höherer Stellenwert zu als früher. Das eröffnet dann aber auch eine sensiblere Wahrnehmung für grenzverletzendes Verhalten physischer und psychischer Art. So tritt das Bewusstwerden der ambivalenten Dynamiken im Kontext von Religion und Weltanschauung nun auch in der katholischen Kirche stärker hervor, nämlich das Rechtfertigen körperlicher und emotionaler Übergriffe durch religiöse Begründungen. Und schließlich: Die Betroffenen gehen in die Öffentlichkeit. Sie trauen sich.
POW: Welche konkreten Hilfen dürfen Betroffene erwarten?
Lohmayer: Das Gespräch mit den Ansprechpersonen wird oft der erste Ort sein, an dem Betroffene von ihren Erfahrungen berichten und sich Hilfe bei der Bewertung sowie konkrete Unterstützung erhoffen. Hier sollen sie einen geschützten Raum erleben, an dem sie mit fachlich kompetenten und beraterisch geschulten Menschen vertraulich über das Erlebte und über das erlittene Leid sprechen können. Die Ansprechpersonen helfen bei der (ersten) Einordnung des Erlebten, erläutern mögliche weitere Schritte und unterstützen die Betroffenen, damit diese eine freie und eigenständige Entscheidung über weitere Konsequenzen treffen können. Gerade für belastende Situationen kann es hilfreich sein, über zusätzliche Dienste der psycho-sozialen Versorgung aufzuklären oder weitere geistliche Begleitung anzubieten. Wird der geschützte Beratungsrahmen verlassen und die Betroffenen wünschen strukturelle Konsequenzen und/oder personelle Maßnahmen, muss ich gestehen, betreten wir gewissermaßen Niemandsland, denn anders als in Fällen sexualisierter Gewalt sind Übergriffe im geistlichen Bereich weder strafrechtlich noch kirchenrechtlich bisher ein Straftatbestand. Dass Missbrauch und Missstände abzustellen sind, versteht sich von selbst. Welche Konflikt- und Lösungsversuche sich im Einzelfall als hilfreich erweisen und welche Interventionen geboten erscheinen, sich aber auch haben durchsetzen lassen – dazu fragen Sie mich am besten in einigen Monaten.
Interview: Markus Hauck (POW)
(3125/0800; E-Mail voraus)
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