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Gedanken zum Evangelium - 7. Sonntag im Jahreskreis

Der Stachel im Fleisch

„Liebt eure Feinde. Tut Gutes denen, die euch hassen.“ Die Sätze aus dem Evangelium dieses Sonntags gehören zu den bekanntesten Teilen der Bibel überhaupt. Und zu den schwierigsten. Denn wie soll das gehen? Im Privaten und noch viel mehr in der großen Weltpolitik?

Evangelium

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Euch, die ihr zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen! Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen! Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd!

Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück! Und wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen!

Wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Denn auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. Und wenn ihr denen Geld leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern, um das Gleiche zurückzubekommen.

Doch ihr sollt eure Feinde lieben und Gutes tun und leihen, wo ihr nichts zurück erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist! Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden! Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden! Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden! Gebt, dann wird auch euch gegeben werden! Ein gutes, volles, gehäuftes, überfließendes Maß wird man euch in den Schoß legen; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt, wird auch euch zugemessen werden.

Lukasevangelium 6,27–38

In den Ohren der Opfer in der Ukraine müssen diese Worte wie Hohn klingen, fromme Träumereien, unrealistisch: „Liebt eure Feinde … Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen.“ Und dann die Aufforderung, einem Schläger die andere Wange hinzuhalten und einem Dieb nach dem Mantel auch das Hemd zu geben. Wie viele Schläge müssen die Menschen in der Ukraine erdulden? Wie viele Mäntel werden ihnen gestohlen, wie viele Häuser zerstört? Und nun sollen sie für ihre Feinde beten? Das kann so doch nicht gemeint sein.

Drei Jahre nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine kann man eine solche Bibelstelle nicht lesen, ohne sie auf die aktuelle Situation zu beziehen. Schließlich braucht niemand eine fromme Botschaft, die sich im konkreten menschlichen Leben nicht bewähren könnte. 

Das Evangelium des Sonntags stammt aus der Feldrede – einer Parallelerzählung zur Bergpredigt im Matthäusevangelium. Sie ist eine zentrale Stelle der Botschaft Jesu. Eine Inspiration für die Zuhörerinnen und Zuhörer, dass eine bessere Welt möglich ist. „Die Bergpredigt ist keine Blaupause zum Handeln, aber sie ist ein Wegweiser, in welche Richtung es gehen kann“, sagte der Bochumer Bibelwissenschaftler Thomas Söding in einem Interview zur Bergpredigt.

In seinem Buch „Gottesreich und Menschenmacht“ setzt er sich ausführlich mit der politischen Ethik des Neuen Testaments auseinander. Dabei widmet er sich auch der Bibelstelle aus der Feldrede: „Das Gebot der Feindesliebe ist Provokation und Inspiration“, schreibt er.

Doch wem gilt diese Provokation? Zunächst einmal sicher denjenigen, die Jesus zuhören, den Menschen seiner Zeit. Von „einer großen Schar seiner Jünger“ und „vielen Menschen aus ganz Judäa und Jerusalem und dem Küstengebiet von Tyros und Sidon“ ist bei Lukas die Rede.

Ein Aufruf zum Sprengender Logik der Vergeltung

Aber das allein wäre zu wenig. Die Evangelien sind geschrieben für Christinnen und Christen aller Zeiten, auch für uns heute. Jesu Worte sind an jeden Einzelnen gerichtet, als persönliche Anleitung, wie mit Gewalt und Unterdrückung umzugehen ist. Nämlich ganz anders, als wir es aus dem menschlichen Leben kennen, als es auch die antiken Zeitgenossen Jesu gekannt haben müssen.

„In keinem Fall ist Passivität die gebotene Antwort, in jedem Fall ist die Antwort, die Jesus vorgibt, eine Aktivität, die aus der Spirale der Gewalt ausbricht, die Logik der Vergeltung sprengt“, schreibt Söding. Darum geht es: nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten, die Gewalt nicht eskalieren zu lassen und dabei gleichzeitig durch eigene Entscheidungen und Handlungen nicht in der Opferrolle zu verharren.

Das gilt zum einen für das eigene Leben, für alles, für das ich selbst verantwortlich bin: im Streit zwischen Nachbarn oder in der Familie zum Beispiel. Wer sich diesen Geist Jesu zu Herzen nimmt, kann Konflikte deeskalieren und Versöhnung erreichen. Das ist sicher nicht leicht, aber machbar.

Und wie ist das mit den großen staatlichen Entscheidungen? „Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen“, sollen erst Otto von Bismarck und später Helmut Schmidt gesagt haben. Also gelten die Worte Jesu nicht für Staaten und Politiker? Söding sieht das anders: „Die Bergpredigt ist kein Regierungsprogramm, aber jedes Regierungsprogramm profitiert vom Ethos der Feindesliebe.“

Wie kann das gehen? „Wer demjenigen, der einem das letzte Hemd nehmen will, auch noch den Mantel gibt, … beschämt vielmehr den, der einen Armen bis aufs letzte Hemd ausziehen will“, schreibt Söding. Wer für einen Feind betet, verweigert sich der gegenseitigen Entmenschlichung: „Auch der Feind ist ein Mensch, ein Ebenbild Gottes.“ Für Söding sind die Beispiele der Feldrede „keine genauen Vorschriften“. Sie zeigen aber, „wie weit Menschen zu gehen bereit sein sollen, um Feindschaft zu beenden“. Jesus wolle zeigen, „wie viel Selbstverleugnung und Selbstüberwindung Menschen sich zumuten können, um einen Feind in seiner Feindschaft nicht zu bestätigen, sondern zu irritieren“. Grundsätzlich dürfe es keine Grenze des persönlichen Einsatzes geben, „die nicht überschritten werden dürfte, damit Frieden gestiftet wird“.

Die Bergpredigt ist kein Verbot militärischer Unterstützung

Doch noch einmal: Gilt das auch zwischen Staaten? Söding macht in seinem Buch klar, dass der Friede Jesu nicht die Abwesenheit von sichtbarer Gewalt ist, sondern die Einlösung von Gerechtigkeit. „Sich vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen, ist nicht gegen die Ethik der Bergpredigt“, schreibt der Theologe. „Aus der Bergpredigt ein Verbot militärischer Abschreckung abzuleiten, ist ein biblizistischer Fehlschluss.“ Söding lässt in Bezug auf die Ukraine keinen Zweifel: „Dass es ohne militärische Unterstützung möglich sein soll, eine gerechte Friedensordnung in Freiheit zu errichten, ist naiv.“

Die Forderung mancher Friedensaktivisten, der Westen möge keine Waffen mehr liefern und die Ukraine klein beigeben, lässt sich mit einem gerechten Frieden, wie Jesus ihn vor Augen hat, nicht vereinbaren. Unterdrückung und Unrecht wären schließlich die Folge. Die Feldrede ist also keine Aufforderung, sich der Gewalt zu unterwerfen. Aber die Worte Jesu sollen ein ständiger Stachel im Fleisch sein: Welche Gegenwehr ist angemessen und gerechtfertigt? Tun wir genug, um die Gewalt zu beenden?

Diese Fragen müssen sich alle Beteiligten ständig stellen. Und wenn die Waffen dann endlich schweigen sollten, wird es echten und dauerhaften Frieden nur geben – im Geist der Feldrede Jesu – wenn Menschen und auch Staaten bereit sind, aus der Spirale von Gewalt, Hass und Diffamierung auszusteigen.

Ulrich Waschki