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Gedanken zum Evangelium - 17. Sonntag im Jahreskreis

Das Vaterunser nach Lukas

Es ist das wohl bekannteste Gebet der christlichen Welt. Auch Nichtkirchgänger können es bei Beerdigungen noch mitsprechen und Menschen mit Demenz erinnern sich lange daran. Doch gerade, weil man es oft herunterbetet, tut es gut, einmal intensiver über die einzelnen Verse nachzudenken.

Evangelium

Jesus betete einmal an einem Ort; als er das Gebet beendet hatte, sagte einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat! Da sagte er zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen! Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung!

Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen und ich habe ihm nichts anzubieten!, wird dann der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht.

Darum sage ich euch: Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet. Denn wer bittet, der empfängt; wer sucht, der findet; und wer anklopft, dem wird geöffnet. Oder welcher Vater unter euch, den der Sohn um einen Fisch bittet, gibt ihm statt eines Fisches eine Schlange oder einen Skorpion, wenn er um ein Ei bittet? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist denen geben, die ihn bitten.

Lukasevangelium 11,1–13

Wenn am Sonntag im Evangelium das Vaterunser verkündet wird, werden aufmerksame Zuhörer stutzen. Denn Lukas verbreitet eine kürzere Variante, als wir sie beten. Exegeten sagen: Sie liegt näher an dem Text, den die Spruchquelle Q als Worte Jesu überliefert als die Variante bei Matthäus (6,9–13). Matthäus und seine Gemeinde hätten sich einige Erweiterungen herausgenommen – Erweiterungen, die sich durchgesetzt haben.

Aber auch Lukas nimmt sich Freiheiten heraus. Bei Matthäus ist das Vaterunser ein Teil der Bergpredigt; Jesus nennt es von sich aus als Beispiel, wie man mit kurzen Worten beten kann, ohne „zu plappern wie die Heiden“. Lukas schildert die Situation ganz anders. Hier sind es die Jünger, die Jesus ausdrücklich um ein beispielhaftes Gebet bitten – weil sie Jesus beten sehen und weil andere geistliche Lehrer wie Johannes der Täufer ihre Jünger auch beim Beten anleiten.

Vater!

Bei Lukas ist es eine ganz knappe Anrede. Abba – Vater. Kein „unser“, kein „im Himmel“. Für Jesus ist diese vertrauliche, familiäre Anrede typisch, aber sie soll eben nicht nur für ihn typisch sein. Gott ist nicht nur für Jesus wie ein Vater, er ist es für jeden Menschen.

Und Mutter? Man kann bei Jesus, aber auch bei den ersten christlichen Gemeinden davon ausgehen, dass sie ein männlich geprägtes Gottesbild hatten, das eines Herrn. Obwohl schon im Alten Testament, der Bibel Jesu, Gott mütterliche Züge zugeschrieben werden, etwa bei Jesaja, bei dem Gott sagt: „Wie einen seine Mutter tröstet, so tröste ich euch.“ (Jes 66,13).

Wenn es also heute Menschen gibt, die ihr Gebet so beginnen: „Gott, der du uns Vater und Mutter im Himmel bist ...“, ist das eine sicher mögliche persönliche Variante. Auch wenn sie sich – gemeinsam im Gottesdienst gesprochen – wohl nicht durchsetzen wird, macht sie darauf aufmerksam, dass Gott viel mehr ist als das, was wir uns unserer menschlichen Erfahrung nach unter einem Papa vorstellen.

Geheiligt werde dein Name

Das Vaterunser richtet seine Bitten an Gott. Das gilt auch für den ersten Satz. Gemeint ist deshalb nicht, dass bitte alle Menschen (und ganz besonders wir selbst) Gottes Namen heilig halten und nicht missbrauchen mögen.

Vielmehr ist gemeint, dass Gott selbst seinen Namen heiligen und sich dadurch als heilig erweisen möge. So wie es beim Propheten Ezechiel heißt, bei dem Gott spricht: „Meinen großen, bei den Nationen entweihten Namen, den ihr mitten unter ihnen entweiht habt, werde ich wieder heiligen. Und die Nationen werden erkennen, dass ich der Herr bin, wenn ich mich an euch vor ihren Augen als heilig erweise.“ (Ez 36,23) Gott selbst hat die Macht dazu, nicht wir.

Dein Reich komme

Diese wohl ursprünglichere Fassung – ohne die Ergänzung „wie im Himmel, so auf Erden“ – macht deutlich, dass die ersten Christen sehr bald mit dem Kommen des Reiches Gottes gerechnet haben. Möglicherweise auch Jesus selbst, der einschränkend sagt: Den Tag und die Stunde kennt niemand, nicht einmal der Sohn (Mt 24,36).

Damals war man sich bewusst: Auch wenn es unser Auftrag ist, die Erde jeden Tag ein Stück besser zu machen – Gottes Reich kann nur Gott selbst erschaffen. Wir können es nicht erzwingen, nur erbitten. Wobei die Bitte heute wohl bei den wenigsten ernst gemeint ist. Denn auch das war den ersten Christen klar: Das Kommen des Reiches Gottes bedeutet den Untergang der uns bekannten Welt. Und wer will das schon?

Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen

Der griechische Text hält hier ein interessantes – und umstrittenes – Detail bereit. Denn das Wort „epiousion“ kommt im Griechischen nirgendwo vor außer in der Vaterunser-Bitte bei Matthäus und Lukas. Entsprechend groß sind die Spekulationen, was gemeint sein könnte.

Meist ist es wie hier übersetzt mit „täglich“, Hieronymus dagegen übersetzte „übernatürlich“ – was an den Satz Jesu erinnert: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Wieder andere sagen, gemeint sei „das Brot, das wir für einen Tag brauchen“. Dann bedeute diese Bitte ein existentielles Vertrauen in Gott: Er möge uns nicht die Scheunen und Konten für die nächsten Monate und Jahre füllen, sondern nur für das Lebensnotwendige des nächsten Tages sorgen. Für uns vermutlich eine völlig unzureichende Vorstellung; in vielen Ländern der Erde dagegen eine bis heute notwendige Hoffnung.

Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist

Zwei Tücken liegen hier im Detail: Erstens betont Lukas mit dem Wort „Sünde“ unsere religiösen Verfehlungen gegenüber Gott; bei Matthäus ist allgemeiner von „Schuld“ die Rede. Zweitens ist unklar, wie das „denn“ zu verstehen ist: Ist die Tatsache, dass wir anderen erlassen, was sie uns schuldig sind, Voraussetzung, Vorbedingung dafür, dass Gott uns vergibt? Oder folgt aus seiner bedingungslos geschenkten Vergebung natürlicherweise, dass wir einander vergeben? Und selbst wenn das zweite richtig wäre: Tun wir es? Erlassen wir jedem, was er oder sie uns schuldet?

Und führe uns nicht in Versuchung

Dieser Vers ist unbeliebt. Dass Gott uns bewusst in Versuchung führt, ist für viele undenkbar. Sowas macht nur der Teufel – siehe die Versuchungen Jesu in der Wüste. Deshalb gibt es nicht wenige Stimmen, die nach einer Neuübersetzung rufen, auch Papst Franziskus gehörte dazu. „Führe uns, wenn wir in Versuchung geraten“ ist so ein Vorschlag.

In Italien wurde die Formulierung 2020 von der Italienischen Bischofskonferenz geändert. Übersetzt betet man dort nun: „Überlass uns nicht der Versuchung.“ Und im Französischen heißt es seit 2017: „Lass uns nicht in Versuchung geraten.“ Was das Problem aber nur verschiebt: Warum sollte Gott uns in Versuchung geraten lassen?

Eine deutsche Neuübersetzung ist nicht in Arbeit. Aus ökumenischen Gründen, aber auch, weil die jetzige Formulierung dem Urtext entspricht. Sollte man das ändern, nur weil es uns nicht gefällt? Wichtiger ist wohl, der Versuchung zu widerstehen. Egal, wie wir hineingeraten sind.

Susanne Haverkamp